Auszug einer Laudatio der Kunsthistorikerin M.A. Tanja Solombrino:
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Diesen steigert die Künstlerin dann in ihrem „Pforzheim Angel“, indem sie mit Hilfe der unterschiedlichen symbolbeladenen Versatzstücke narrative Elemente in die Fotocollage einbringt.
Hier setzt sich Ruth Kasper intensiv mit der Stadt, die für sie und ihre Familie zum Lebensmittelpunkt geworden ist, auseinander. Vergangenheit, Gegenwart und ein Ausblick auf die Zukunft Pforzheims sind in dieser dreiteiligen Arbeit verborgen.
Der Posaunenengel, der in der christlichen Ikonografie häufig in Darstellungen der Apokalypse in Erscheinung tritt, erhebt sich hier wie Phönix aus dem Dunkel der zerstörten Stadt. Er setzt sich dem durch den Bombenhagel verursachten Feuersturm entgegen, dem ein Großteil der Stadt im Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel, und dessen feuerroter Lichtschein auf der linken Seite der Fotocollage seine Spuren hinterlassen zu haben scheint. Der Engel, den Ruth Kasper hier als Beschützer und Symbol für die Auferstehung der Stadt inszeniert, weist dem Betrachter den Weg über die Brücke zum Neuen Rathaus, das aus stadtplanerischer Sicht der Nachkriegsjahre den Endpunkt des Wiederaufbaus von Pforzheim markierte.
Die sich in der Engelsfigur spiegelnden Gebäudefragmente, die zur Zeit ihrer Entstehung in den 50er Jahren als Symbol für den Aufbruch in eine neue Zeit verstanden wurden, können ebenso wie die popartfarbigen Ausschnitte einer Litfaßsäule oder der moderne Bau der Stadtbibliothek als Hinweis auf das lebendige und junge Wesen der Stadt gesehen werden.
Der über dem Gebäude in den Himmel fliegende Vogel darf auch hier, wie in den anderen Arbeiten der Serie, als ein Symbol für Unabhängigkeit und Freiheit gedeutet werden. Auch wenn Ruth Kaspers „Pforzheim Angel“ mit zahlreichen, für die Künstlerin selbst bedeutsamen Inhalten versetzt ist, so ist es ihr dennoch wichtig, dass ihre Fotocollagen auch bei Nichteingeweihten Emotionen hervorrufen.
Durch die Verwendung bewusst für die Collagen ausgewählter, elementarer Versatzstücke, die sie auf ästhetisch-spannungsreiche und zugleich überraschende Art und Weise montiert, schafft Ruth Kasper fotografische Arbeiten, die den Betrachter in ihren Bann ziehen. Und so bleibt zu hoffen, dass ihr in einer anderen Stadt bald ein Engel begegnet, der sie dazu inspiriert, die „Angel“ Serie zu erweitern. …“
Tanja Solombrino
Kunsthistorikerin M.A.
Mai 2017